2012

„Bagunara?“ „Bagunaru!“

Telegu und was wir sonst noch so in Indien gelernt haben...

 

„Indien? Also... Mahatma Gandhi, Bollywood, Armut und die Frauen tragen Saris!“

So ungefähr hätte mein Statement zu Indien ausgesehen, bis ich vor vier Wochen dann selbst dort war.

Gut, natürlich wusste ich auch ein bisschen über die Geschichte, schließlich haben wir im Englisch-LK darüber gesprochen und wie jeder andere hatte auch ich diese Bilder aus der Presse vor Augen, wenn jemand „dritte Welt“ gesagt hat. Doch was Armut wirklich bedeutet und wie Indien tatsächlich ist, das weiss ich erst jetzt, denn das muss man mit eigenen Augen gesehen haben, um es verstehen zu können.

 

Und genau aus diesem Grunde haben wir, acht Jugendliche, die Möglichkeit bekommen, mit Herrn Marx, dem Leiter des Indienkreises e. V., nach Indien zu reisen. Denn bei diesen Arbeitseinsätzen, die der Verein seit 40 Jahren organisiert, geht es hauptsächlich um zwei Dinge: Wir Jugendlichen solidarisieren uns mit dem Armen, indem wir  dort bei einem sozialen Projekt mit anpacken und die Armen begreifen, dass wir alle Menschen sind, gleich und nicht in höhere und tiefere Kasten einzuteilen, wie es das Kastensystem vorschreibt.  Wir setzen also ein Zeichen und lernen, dass wir Verantwortung übernehmen müssen.

 

Das ist nichts neues, das hat jeder schon oft gehört und man unterstützt diesen Gedanken, klar! Es fahren ja auch viele Jugendliche nach dem Abi ins Ausland um dort an sozialen Projekten zu arbeiten. Nichts desto Trotz ist es für die Inder eine unglaubliche Ehre, mit einem Weißen zu tun zu haben. Viele haben noch nie einen Weißen „ in echt“ gesehen und kaum ist man da, kommt das ganze Dorf  und macht mit seinen Handies Beweisfotos.

 

Dass wirklich jeder unterernährte Inder ein Handy besitzt, hat mich auch sehr überrascht, doch sie sind sehr bemüht, sich an die westlichen Standarts anzupassen. Ich fand es schockierend, dass auf den  Werbeplakaten in Chennai Weiße abgebildet sind, wo doch die Straßen voll sind mit bildschönen Inderinnen! Warum finden die Mädchen aus Kosigi (einem kleinen Dorf in Andhra Pradesh) uns so hübsch und toll? Und warum wollen immer alle ein Foto mit mir und warum will jeder meine Haut fühlen? Nur wegen der Farbe! Nur wegen Pigmenten!

Die Menschen behandeln uns sofort ehrerbietig.  Wir wurden bedient, gefahren, wir „durften“ nicht abräumen usw. Das war schwer zu akzeptieren, denn wir kamen ja, um zu zeigen, dass wir nichts „Besseres“ sind. Zu Anfang waren die Bediensteten von unserem Gastgeber noch sehr distanziert, doch mit der Zeit tauten sie auf und am Ende hatte die Köchin Mariama einen Heidenspaß daran, uns in ihre Saris zu kleiden.

Die Leute aus den Döfern waren nie distanziert. Eher im Gegenteil: Sie waren sehr aufgeschlossen und neugierig, vor allem die Kinder. Die Schüler der Schule in Kosigi, wo wir eine Woche untergebracht waren, haben uns ihre Sprache beigebracht und Fußball gespielt und sobald wir das Schulgelände verließen, kamen die Dorfkinder und zeigten uns die Gegend.

Indien hat viele Sprachen und jede hat ihre eigene Schrift. Die Kinder konnten nicht glauben, dass wir in Deutschland hauptsächlich Deutsch reden und nur ein Alphabet haben. Sie selbst lernen Englisch, Hindi und ihre eigene Sprache, in diesem Falle Telegu inclusive den Alphabeten.

Die wichtigsten Vokabeln in Telegu sind Bagunara? Bagunamu! (Wie geht es dir? Mir geht es gut!), Padekunara? (Hast du geschlafen?) und Thenara? (Hast du gegessen?) Das spiegelt wirklich wieder, wie diese Menschen leben, wie bewusst sie Essen und Schlafen und wie freundlich sie sind!

 

Überhaupt könnten wir uns in manchen Dingen eine Scheibe von den Indern abschneiden: Wir sind auf dieser Reise viel rumgekommen und nirgendwo, nicht in der ärmsten Gegend sieht man ungeflegte Menschen und tristes Grau! Indien ist bunt und lebhaft! Alles ist voll mit Leuten und jeder hat etwas zu tun. Niemand beschwert sich und hadert mit seinem Schicksal, sondern jeder versucht das Beste daraus zu machen.

Doch es gibt auch Bereiche, wo sie vielleicht noch von uns lernen könnten: Chennai zum Beispiel ist unglaublich zugemüllt, niemand denkt sich was dabei, den Abfall auf die Straße zu schmeißen und ist der Haufen groß genug, zündet man das ganze Plastik halt an. Und um Dinge zu planen, leben die Inder einfach zu sehr in der Gegenwart. Schon eine vernünftige Verkehrsregelung könnte das Leben sehr erleichtern: Zwar findet man mitten in der Wildnis einen Zebrastreifen, wo links und rechts von der Straße nur Felswände sind, doch in der Stadt fahren tausende Fahreuge (LKWs, Ochsenkarren, Motorräder, Fahrräder und Tucktucks) Slalom um Menschen, Kühe, Ziegen und einander. Es ist das reinste Chaos, untermalt von beständigem Warngehupe. Verwunderlich ist nur, dass genauso viele Unfälle passieren, wie bei uns.

 

 

Über Indien kann man Bücher füllen, doch ich denke, das Wesentliche haben wir mitbekommen. Zwar hat uns das Wetter teilweise einen Strich durch die Rechnung gemacht, was die körperliche Arbeit betrifft, doch wir haben viel von diesem vielfältigen Land gesehen, hatten mit vielen Menschen Kontakt und ich hoffe, dass diese Menschen gemerkt haben, dass dunkle und helle Haut sich gleich anfühlen und dass sie selbst genauso viel wert und genauso hübsch sind wie wir, die stinkreichen Weißen.