1992

Nach einigen Tagen der Gewöhnung an das tropische Klima und der Feststellung einer weiteren Zunahme der Verelendung von Slumbewohnern in Madras, kamen wir am 4. April in Quilon an. Von Bewohnern einer naheliegenden Insel wurden wir sehr herzlich empfangen. Bei dem anschließenden Rundgang über das Gelände des Ausbildungszentrums, waren wir angenehm von dem deutlich sichtbaren Fortschritt überrascht. So konnten die ersten Bananen, Gurken und Chili-Schoten geerntet werden. Auch der Anbau von Kartoffeln, Tapioka, Bohnen, Melonen, Weintrauben und verschiedenen indischen Gemüsearten, ist inzwischen ausgeweitet worden. Waren wir vor einem Jahr noch stolz auf die sechs Kühe, so waren es diesmal 30 Rinder. Aber auch 38 Enten, 42 Hühner, 20 Kaninchen und drei Ziegen erwecken den Eindruck auf einem richtigen Bauernhof zu sein. Während unseres Aufenthaltes pflanzten wir 50 Kokospalmen und hoben Löcher für 70 Teakholz – Bäume aus. Gerade durch den großen Wasserbedarf der Pflanzen wird in Zukunft der Verbrauch an Wasser stark ansteigen.

Father David – unsere Kontaktperson in der QSSS – erklärte uns, dass sich ein Brunnenbau aufgrund der hohen Wasserkosten bereits nach einigen Jahren amortisieren würde. Geologische Untersuchungen haben ergeben, dass sich in einer Tiefe von 200m große Süßwasservorräte befinden. Der Bau eines Brunnens kostet ca DM 25.000,-

Aufgrund der Dringlichkeit dieser Maßnahme haben wir uns entschlossen, den eigentlich für Mitte des Jahres geplanten Bau eines Gemeinschaftshauses, etwas zurückzustellen. Sehr erfreut waren wir über den baulichen Fortschritt der Schule, für die wir auf der letzten Indienfahrt die Fundamente ausgehoben hatten. Während unseres dreiwöchigen Aufenthaltes wuchsen die Mauern ein ganzes Stück in die Höhe. In diesem Jahr bestand unsere hauptsächliche Aufgabe darin, einen Kanal zu graben. Dieser soll während der Monsun Zeit das Regenwasser, das sonst oberirdisch abfließen würde, auffangen und in ein Fischzuchtbecken weiterleiten. Die Maße des Kanals betragen 30x1x1 m . Im Gegensatz zu dem Arbeitseinsatz im letzten Jahr war die Unterstützung durch die einheimischen Fischer wesentlich größer. Fast täglich kamen sie nach ihrer Arbeit noch zu der Baustelle, um uns und den 5 festangestellten Indern (Hindus und Christen) beim Kanalbau zu helfen. Doch nicht nur die Männer kamen in großer Anzahl und suchten den Kontakt zu uns. Dieser kam u.a. durch gemeinsame indische und deutsche Spiele zustande, an denen sowohl wir als auch die Inder (Jung und Alt) viel Spaß hatten.

Neben unserer Arbeit fanden wir auch noch Zeit für andere Aktivitäten. So haben wir die vor einigen Jahren gebauten Landungszentren besucht. Über den Misserfolg des ersten Projekts tröstet der sehr gute Zustand aller weiterer Landungszentren hinweg. Sie werden weiterhin als Lagerplätze für Werkzeuge, Netze und Boote benutzt. Auch Reparaturen an defekten Booten, sowie Versammlungen und Schulungen zu Problemen wie Alkohol, Nikotin, Umweltverschmutzung etc. werden hier durchgeführt. Besonderer Wert wird auf die Ausbildung der Frauen gelegt, die in der Regel keine oder nur eine geringe Schulbildung haben. Sozialarbeiterinnen besprechen mit ihnen Themen wie Hygiene, ausgewogene Ernährung und natürliche Familienplanung. Bedauerlicherweise musste die QSSS – bedingt durch die Kürzung staatlicher Gelder – 90 von 163 Sozialarbeiterinnen entlassen. Die bisherigen Erfolge dieser Arbeit werden dadurch sehr gefährdet.

Zum Abschluss der Fahrt waren wir zu einem Abendessen beim Bischof von Quilon eingeladen. Unser Hauptgesprächsthema war die Beziehung zwischen Christen und Hindus im Süden Indiens. Nach Auskunft des Bischofs funktioniert das Zusammenleben der verschiedenen Religionen sehr gut. Dies konnten wir auch selbst bei einer Priesterweihe erfahren. In den Reden nach der Weihe, die Hindus, Christen und Moslems zusammenfeierten, wurde ein für europäische Verhältnisse ungewöhnliches Maß an Akzeptanz und gegenseitiger Hochachtung deutlich. Dennoch kam es während unseres Aufenthalts auch zu Ausschreitungen zwischen Christen und Hindus. Der Streit war dadurch entbrannt, dass die christliche Osterfeier mit einem großen hinduistischen Tempelfest zusammenfiel. Die Ausschreitungen konnten nur durch das Eingreifen der Polizei beendet werden. Während es in Nordindien öfter zu derartigen Zusammenstößen kommt, war es für Quilon ein absolut ungewöhnliches Ereignis. Der Bischof sagte, dass keineswegs von einem Verhärten der Fronten gesprochen werden könne. In der Konferenz zwischen den Beteiligten wurde eine friedliche Lösung gefunden.

Anschließend bleibt nur zu sagen, dass alle 13 Teilnehmer der Fahrt viele interessante und bereichernde Erfahrungen gemacht haben, die sicherlich jeden Einzelnen von uns ein Leben lang begleiten werden.

Anja Hohmann

Ralf Hoffmann